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Konstanz: Bahn frei für das "Humanistische Bildungs- und Begegnungszentrum"

Von: GBS Bodensee

HBBK
Bei einer Strategieklausur wurden die Ideen für das Zentrum erarbeitet
(Foto: ©gbs Bodensee)

Nach mehrjähriger Planung eröffnet 2025 das deutschlandweit erste "Humanistische Bildungs- und Begegnungszentrum" in Konstanz (HBBK), welches ideell auf den Überlegungen des Evolutionären Humanismus beruht. Die andauernde multiple Krisenlage und die Beschäftigung mit drängenden Problemen wie Klimawandel, gesellschaftliche Integration Geflüchteter, Kriegen und Naturkatastrophen verursachen bei vielen Menschen wachsende Besorgnis, Ängste und Unsicherheiten. Das machen sich vor allem radikale Alternativreligionen, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und sonstige spiritistische Bewegungen zunutze. Das HBBK möchte dem begegnen, indem es sich bevölkerungsnah für einen aufgeklärten, rationalen, naturwissenschaftlichen und evolutionär-humanistischen Zugang zur Welt einsetzt.

Der Evolutionäre Humanismus (EH) geht zurück auf die Ideen Julian Huxleys, des ersten Generaldirektors der UNESCO. In seinem berühmten Aufsatz "Essay of a Biologist" (1923) begründete Huxley die Notwendigkeit einer universellen Ethik, die unabhängig von bestehenden religiösen oder politischen Ideologien auf einem wissenschaftsbasierten Humanismus beruhen müsse. Ab 1960 nannte er die Verschränkung aus Wissenschaft und Humanismus schließlich "Evolutionären Humanismus". Systematisch wurde der EH erst 2004 mit der Gründung der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) wieder aufgegriffen und wird zudem von der Partei der Humanisten, der Säkularen Flüchtlingshilfe und der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland vertreten. Trotz des gbs-Schwerpunktthemas 2023 "Wir glauben an den Menschen – 100 Jahre Evolutionärer Humanismus", ist der EH heute nach wie vor weitgehend unbekannt, obwohl er sich selbst als einen "globalen Orientierungsrahmen" versteht, der "die Herausforderungen der Zukunft" bewältigen möchte, wie es im gbs-Magazin bruno. 2023 heißt. Die Ansprüche sind hoch gesteckt, vielleicht zu hoch?

Die Entwicklung einer Idee

Bereits 2022 beschäftigte sich die gbs Bodensee (eine Regionalgruppe der gbs) mit dem Problem der schwierigen Popularisierung des EH und nahm am jährlich stattfindenden gbs-Sommerforum teil, um eine Lösungsstrategie zu dessen Bekanntmachung zu entwickeln, leider mit wenig Erfolg. Das Problem: Er ist ein komplexes geistiges Koordinatensystem, welches auf unterschiedlichen wissenschaftlichen, philosophischen und humanistischen Annahmen beruht, die ihrerseits wiederum erklärungsbedürftig sind. Zwar lässt sich der EH als "Vertrauen auf die Entwicklungsfähigkeit des Menschen" beschreiben, jedoch wird auch dadurch kaum deutlich, was das konkret bedeutet. Eine "einfache Lösung", den EH verständlich zu vermitteln, war für die nächsten eineinhalb Jahre nicht in Aussicht.

Aus gegebenem Anlass diskutierten Mitglieder der gbs Bodensee zum Jahresbeginn 2024 über ethisches Fehlverhalten in Kindertageseinrichtungen. Im Verlauf der Diskussion kam die Frage auf, ob es Bildungsangebote für Erzieher gebe, die eine weltanschaulich neutrale Berufsethik vermitteln? Diese vermeintlich einfache Frage brachte plötzlich den kreativen Durchbruch: Es braucht eine Einrichtung, die sich näher am Individuum bewegt und Bildungs- und Begegnungsangebote bereitstellt, die Menschen an dem Punkt abholt, an dem sie sich befinden!

Menschen verhalten sich in der Regel nicht "falsch", weil sie "böse" sind, sondern weil sie es oft zu diesem Zeitpunkt nicht besser wissen konnten. Alexander Wolber, der Vorsitzende der gbs Bodensee, arbeitete anschließend ein erstes Gesamtkonzept aus, das er im April vereinsintern vorstellte. Nach weiterem Feinschliff präsentierte der Vorsitzende die Idee der Gründung eines humanistischen Bildungs- und Begegnungszentrums (zu diesem Zeitpunkt noch "Zentrum für Evolutionären Humanismus" genannt) zum ersten Mal öffentlich beim 15. Regionalgruppentreffen der gbs in Oberwesel Anfang Juli. Dort wurde das Projekt von den Anwesenden äußerst positiv aufgenommen und für seinen innovativen Ansatz gelobt. Im weiteren Verlauf des Regionalgruppentreffens wurden viele anregende Gespräche zur weiteren Verbesserung des HBBK geführt.

Ein für das Projekt gebildetes Team der gbs Bodensee arbeitete anschließend mit Hochdruck an der finalen Projektkonzeption, mit der sie sich am 18. Juli um Fördermittel im Rahmen des "Bürgerbudgets" bei der Stadt Konstanz bewarben. Das Bürgerbudget ist ein Fördertopf für Projektideen, die dem Gemeinwohl der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Konstanz zugutekommen. Die Förderanträge durchlaufen ein dreistufiges Prüfungsverfahren:

  • die Prüfung auf Einhaltung der formalen Anforderungen,
  • die Vorauswahl durch den Bürgerrat der Stadt Konstanz
  • und die finale Mittelbewilligung durch den Beschluss des örtlichen Gemeinderats.

Die erste Hürde (formale Eignung) wurde am 17. September erfolgreich genommen. Am 12. Oktober präsentierte der Vorsitzende das geplante HBBK in einem dreiminütigen "Elevator Pitch" dem Bürgerrat, der anschließend unter Ausschluss der Öffentlichkeit über den Nutzen des Projekts debattierte. Die gbs Bodensee konnte überzeugen und erhielt das Votum des Bürgerrats.

Am 21. November bestätigte der Gemeinderat der Stadt Konstanz die Entscheidung des Bürgerrats und fördert nun das HBBK im Jahr 2025 mit knapp 15.000 Euro. Bei 2 Enthaltungen stimmten fraktionsübergreifend 38 Gemeinderatsmitglieder der Projektumsetzung zu. Ein Gemeinderatsmitglied betonte sogar die Wichtigkeit der gbs Bodensee als lokalen Gegenspieler der sektiererischen "Hillsong Church", die ihre ideologischen Leimfallen insbesondere für junge Menschen auslegt. "Mit der Förderung der Stadt Konstanz durch das Bürgerbudget haben wir die einmalige Chance, den Konstanzer Bürgerinnen und Bürgern als Ansprechpartner für einen wissenschaftsbasierten Humanismus zur Seite zu stehen. Wir freuen uns sehr über das Vertrauen, das uns vom Bürger- und Gemeinderat entgegengebracht wird", resümiert Wolber. "Denn Probleme lassen sich nicht ideologisch, sondern kritisch-rational lösen und davon sind wir gegenwärtig noch weit entfernt."

Das Konzept des Humanistischen Bildungs- und Begegnungszentrums in Konstanz (HBBK)

Der Psychologe Prof. Dr. Klaus Grawe postulierte vier Grundbedürfnisse, die sich bei jedem Menschen in unterschiedlichen Ausprägungen finden lassen: Lustgewinn/Unlustvermeidung, Orientierung/Kontrolle, Selbstwert und Bindungsbedürfnis. Religion, Esoterik und Verschwörungstheorien steuern in der Regel in unterschiedlichem Ausmaß diese Grundbedürfnisse an. Eine Untersuchung der Gallup Organization (Gallup World Poll) konnte beispielsweise einen positiven Zusammenhang von Religion/Spiritualität und Lebenszufriedenheit zeigen, der wahrscheinlich über die Faktoren "Sinngebung", "Gesundheit" und "Soziales" vermittelt wird.1 Es ist davon auszugehen, dass dies bei esoterischen Praktiken ähnlich sein wird, wobei Verschwörungstheorien in unterschiedlichen Studien eher mit Ängsten und Verunsicherungen zusammenhängen. Bei Letzteren geht es wohl eher darum, bereits verletzte Grundbedürfnisse durch das Herstellen von "Pseudokontrolle" halbwegs zu erhalten. In Krisenzeiten und Verunsicherung suchen Menschen nach Informationen und Kontrolle. Während früher die christlichen Großkirchen Ansprechpartner für Ängste, Sinngebung und Halt waren, fällt dies im Zuge der Säkularisierung zunehmend weg. Stattdessen strecken radikale religiöse Gruppen, Esoteriker und andere Ideologen ihre Arme aus und locken mit unlauteren Versprechungen nach Erlösung, wie es beispielsweise die "Hillsong Church" in Konstanz tut. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse hat einen hohen Preis und geht zulasten des kritisch-rationalen Denkens. Statt sich mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen und sich für eine klimagerechtere Gesellschaft zu engagieren, werden Spenden für Jesus an die "Hillsong Church" überwiesen, in der Hoffnung, dass Gott das auf magische Weise "schon regeln" wird.

An dieser Stelle wird das HBBK ansetzen. Auf den Säulen der vier Grundbedürfnisse, dem Bewusstsein der Wirkung von Religion/Spiritualität/Esoterik und der evolutionär-humanistischen Perspektive wird ein "humanistisches Bildungs- und Begegnungszentrum" gegründet, welches sich an die Konstanzer Bevölkerung richtet. Die inhaltliche Ausgestaltung des Zentrums umfasst philosophische und psychologische Elemente und wird Bildungs- und Begegnungsangebote bereitstellen, welche sich an den drei B‘s – Begegnung, Beratung und Bildung – orientieren:

Begegnung: Es wird Räume für Personen geben, die sich weltanschaulichen Fragen jenseits von dogmatischer Vorstellung widmen möchten. Zudem wird ein Forum für Sektenaussteiger geschaffen, in welchem sich in einem sicheren Rahmen ausgetauscht werden kann.

Beratung: Auf Anfrage stellt das HBBK philosophische Beratungsangebote zu Themen wie "Sinngebung", "Werte", "Ethik" und weiteren existenziellen Fragen bereit. Zudem wird es eine psychologische Anlaufstelle geben, die sich der Aufarbeitung negativer Erfahrungen mit Religionen, Esoterik, Verschwörungstheorien und "Psi-Phänomenen" widmen wird.

Bildung: Der letzte Punkt adressiert proaktiv die Aufklärungsarbeit, mit dem Ziel andere Bildungseinrichtungen wie Kitas, Schulen (sowohl Personal als auch Klientel) usw. zu erreichen. Vermittelt werden sollen grundlegende Kompetenzen im kritischen und wissenschaftlichen Denken, Ethik, Naturalismus und Aufklärung über wissenschaftsfeindliche Themen. Beispielsweise könnten bereits bestehende Projekte wie "Evokids" ihre institutionalisierte Heimat finden.

Das HBBK wird damit die Aufgabe übernehmen, den interessierten Konstanzern eine weltliche, natürliche und aufgeklärte Haltung zu existenziellen Themen zu vermitteln, sodass sie selbstbestimmt und unabhängig von verklärenden Bewegungen ihren eigenen Lebensweg gestalten können. Nach einer Statistik des "Amts für Digitalisierung und IT" der Stadt Konstanz waren 2023 ca. 54 Prozent (ca. 45.000) der Konstanzer konfessionsfrei, mit steigendem Trend. Der gesellschaftliche Wandel schreitet voran und dem muss mit einer zeitgemäßen Hinwendung zu Wissenschaftlichkeit und Aufklärung Rechnung getragen werden.

Das "humanistische Bildungs- und Begegnungszentrum" wird von der gbs Bodensee ehrenamtlich getragen. Alle Angebote werden zudem kostenfrei zur Verfügung gestellt. Im Anschluss an die Anschubfinanzierung durch die Stadt Konstanz wird das HBBK ab 2026 auf andere Finanzierungsquellen wie Kooperationen mit anderen Einrichtungen und dem Land Baden-Württemberg sowie Spenden angewiesen sein.

Neben dem HBBK plant die gbs Bodensee zahlreiche andere Projekte und Veranstaltungen, die ehrenamtlich durch die Mitglieder getragen werden. Da diese Projekte häufig kostenintensiv sind, ist die Regionalgruppe stets für Spenden dankbar. Wenn Sie die Vereinsarbeit unterstützen möchten, können Sie dies hier oder über den Spendenbutton auf der Website tun.

1Davis, E. B., Worthington Jr, E. L., & Schnitker, S. A. (2023). Handbook of positive psychology, religion, and spirituality (p. 513). Springer Nature.