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Wie wir lernen könnten, wieder miteinander am Tisch zu sitzen

Filmrezension von Alexander Wolber

Screenshot Alter weißer Mann
Beim Dinner im eigenen Haus will Heinz Hellmich von sich überzeugen

Wie gestalten wir gesellschaftliches Zusammenleben in einer Welt der Meinungspluralität? Jedenfalls nicht woke, wenn es nach dem Film "Alter weißer Mann" geht. Scharfzüngig und humorvoll werden grundlegende woke Ideen auf die Schippe genommen und ad absurdum geführt. Gleichzeitig ermutigt uns der Film dazu ideologisches Denken zu überwinden und macht sich stark für offene und direkte Kommunikation, radikale Ehrlichkeit und Empathie gegenüber anderen.

Am 31. Oktober feierte die satirische Komödie "Alter weißer Mann" von Simon Verhoeven seine Kinopremiere in Deutschland. Im Zentrum des Films steht Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers), ein dreifacher Familienvater und leitender Angestellter der fiktiven Firma "Fernfunk". Allerdings läuft es sowohl privat als auch beruflich nicht besonders gut. Die Beziehung zu seiner Frau Carla (Nadja Uhl) ist eingeschlafen und seine Kinder leben in einer Welt, die er nicht versteht.

Die älteste Tochter Mavie (Sarah Mahita) hat er seit ihrem Auszug vor zwei Jahren nach Berlin nicht mehr gesehen, seine zweite Tochter Leni (Momo Beier) weist ihre Eltern dauernd zurecht, wenn diese vermeintlich "rassistische Begriffe" nutzen und der jüngste Sohn Linus (Juri Winkler) ist sehr computerversiert, womit Heinz ebenfalls nichts anzufangen weiß. Sein Chef, Dr. Steinhofer (Miachel Maertens), macht ihm zusätzlich das Leben schwer, denn die Firma will progressiver und offener werden. Das heißt, ab jetzt muss man sich seiner Privilegien bewusst sein und gendern. Dies führt zu einigen skurrilen Momenten, die zu herzhaftem Lachen und unangenehmer Fremdscham einladen. Als dann noch Dr. Älex Sahavi (Elias M'Barek) und Lian Bell (Yun Huang) die Bühne betreten, um die Firma zu beraten, wird die neu eingeführte Wokeness vollends auf die Spitze getrieben, zudem sind beide keine großen Fans von Heinz und bezichtigen ihn immer wieder der Bedienung rassistischer Stereotype. Einen harten Kontrast bildet dabei Opa Georg (Friedrich von Thun), der Vater von Heinz. In streng konservativer Manier, beklagt sich der verbitterte Rentner über die "zunehmende Verdummung" der Gesellschaft, die Männern erlaube am Frauensport teilzunehmen, weshalb er sich vornimmt, in seinem Dorf als Bürgermeister zu kandidieren.

Hin- und hergerissen zwischen Wokeness, Konservatismus und seinem eigenen Wertesystem zerbricht das Leben von Heinz zunehmend. Zu allem Überfluss tätigt Heinz eine Fehlinvestition, was die kompletten Ersparnisse der Familie wie einen Eisberg im Klimawandel schmelzen lassen. Doch zum Glück bietet Dr. Steinhofer Heinz eine Beförderung an, vorausgesetzt, er kann Dr. Sahavi und Lian Bell von seiner Eignung bei einem Dinner im Hause Hellmich überzeugen. Um die Familie vor dem Bankrott zu retten, versuchen die Hellmichs nun einen möglichst progressiven und diversen Eindruck zu hinterlassen, indem sie umdekorieren und weitere Personen mit Migrationshintergrund einladen. Allerdings haben sie die Rechnung ohne Opa Georg gemacht, der sich durch einen Zufall ebenfalls dem Dinner anschließt. Das Dinner bildet den fulminanten Höhepunkt des Films, bei dem unterschiedliche Weltanschauungen aufeinanderprallen und eine absurde Diskussion die nächste jagt, wobei sich, je nach Thema, unerwartete Allianzen bilden. Trotz der skurrilen Gespräche gelingt es den Protagonisten die Perspektive zu wechseln und Empathie für die anderen aufzubauen.

Vor Filmbeginn konnte ich nicht einschätzen, was mich erwarten wird. Ich hatte die Sorge, dass der Film Wokeness entweder unangebracht verherrlicht oder stumpf verunglimpft. Keines von beidem ist jedoch eingetreten. Anhand verschiedener woker Ideen (z.B. Antirassismus, Gendersprache) konnte humorvoll aufgezeigt werden, wieso Wokeness scheitert und so viel Reaktanz auslöst. Sie stößt Menschen vor den Kopf und geht an der Realität meist vorbei. Einsamkeit, sexuelle Identität, Selbstfindung, zwischenmenschliche Beziehungen, Diskriminierung, Vorurteile und politische Haltungen sind wiederkehrende Probleme und Themen unserer Zeit und sie betreffen alle. Sie lassen sich nicht mit vorauseilendem Gehorsam und identitärem Lagerdenken (Wir gegen die Anderen, Rassisten gegen Antirassisten, Queer gegen Hetero usw.) bewältigen. Ganz im Gegenteil, das befördert nur noch mehr die Wahrnehmung von Unterschieden und Antipathie gegenüber "den Anderen" und verschleiert den Blick auf die Gemeinsamkeiten. Und genau das ist die eigentliche Stärke von "Alter weißer Mann".

Der Film macht uns ein Angebot, er zeigt uns eine Alternative auf, wie wir mit unterschiedlichen Meinungen umgehen können. Zuerst müssen wir lernen wieder miteinander am Tisch zu sitzen und zu sprechen. Das bedeutet nicht "gute Miene zum bösen Spiel" zu machen, es kann durchaus hitzig zur Sache gehen, solange klar ist, dass wir über Positionen, nicht aber über Personen debattieren. Anschließend brauchen wir Empathie und interessierte Offenheit, denn unser Gegenüber hat vielleicht ebenfalls gute Gründe für seine oder ihre Haltung und eventuell liegen ja auch wir falsch. Auf der anderen Seite können wir auch überrascht werden, dass wir bei einem anderen Thema dieselbe Meinung vertreten. Diversität bezieht sich nicht nur auf die Hautfarbe oder das Geschlecht, sondern umfasst auch Meinungen; und das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Allerdings ist solch eine Offenheit in der Diskussion keine leichte Aufgabe, denn man muss eventuell von liebgewonnenen Überzeugungen lassen können, wenn die Argumente dafür schwach sind. Hierfür benötigt es intellektuelle Redlichkeit und den Mut, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen. Wer das nicht kann, sollte sich den Film nicht ansehen. Ideologiekritischen Menschen, die Dogmen den Rücken kehren und Sinn für frechen Humor haben, ist dieser Film jedoch wärmstens zu empfehlen.